„Apothekensterben“ aufhalten

Die Liberalen Senioren Northeim-Einbeck hatten am 25.10.2024 Andreas Hartwig von der Rats-Apotheke in Northeim und der Ilme-Apotheke in Einbeck zu Gast bei Edeka Schnabel. Thema des Abends war die Unverzichtbarkeit von Apotheken für die wohnortnahe Gesundheitsversorgung.

Nur die Apotheken bieten neben der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln Leistungen wie individuelle Arzneimittel-Herstellungen, Medikationsanalysen, Beratung zu Selbstmedikation und Nacht- und Notdienste an. Sie kontrollieren und verifizieren jedes in Deutschland abgegebene verschreibungspflichtige Arzneimittel, und auch in der Pandemie haben die Apotheken zusätzliche Aufgaben übernommen.

Apotheker Andreas Hartwig sprach in seinem sehr interessanten Vortrag drei Themen an:

Lieferengpässe bei lebenswichtigen Arzneimitteln:

Bei 1.017 rezeptpflichtigen Medikamenten, davon 183 mit als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoffen, bestanden im Jahr 2023 Lieferengpässe. Herkunft der Wirkstoffe von in Europa zugelassenen Fertigarzneimitteln: z.B. 13 % China, 41 % Indien, 5 % Deutschland (Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM); Pro Generika e.V.)

Bedingt durch die Fest- und Rabattverträge mit deutschen Krankenkassen, die ausgehandelten Rabatte betragen zum Teil 60 % und mehr unter dem Listenpreis, wurde der Preisdruck für die Pharmaindustrie größer. Es wird statt in Deutschland immer mehr in Billiglohnländern produziert. Außerdem wird der Markt in Deutschland absichtlich klein gehalten, da in anderen Ländern bessere Preise zu erzielen sind.

Apotheken schließen derzeit vor allem aus wirtschaftlichen Gründen:

Die derzeitige Vergütung der Apotheken für rezeptpflichtige Medikamente ist trotz allgemein gestiegener Kosten für Miete, Personal, Energie etc. seit 20 Jahren kaum gestiegen. Frei verkäufliche Apothekenprodukte werden zunehmend im Internet gekauft. Der Gewinn ist merklich zurückgegangen. Apotheken schließen deshalb vor allem aus wirtschaftlichen Gründen - allein in den letzten drei Jahren waren es deutschlandweit 1.000. Im Jahr 2024 wird es wahrscheinlich 500 weitere Apotheken getroffen haben. Mit 21 Apotheken pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern und ca. 17.500 Apotheken lag Deutschland 2023 im Vergleich der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits im unteren Drittel.

Beispiel - die Gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlen den Apotheken, aufgrund der gesetzlichen Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung, für rezeptpflichtige Fertigarzneimittel:

  • Pro verkaufter rezeptpflichtiger Arzneimittelpackung einen Festbetrag von 8,35 Euro,
  • zuzüglich drei Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis (dadurch haben Apotheken einen Vorteil, die viele, sehr teure, rezeptpflichtige Arzneimittel verkaufen und eine hohe Kundenfrequenz aufweisen),
  • eine Pauschale von 21 Cent pro Packung für Not- und Nachtdienste,
  • abzüglich eines gesetzlich vorgeschriebenen Abschlages von derzeit 2 Euro pro Packung zur Stabilisierung der Gesetzlichen Krankenversicherungen.

 

Die Zuzahlungen der gesetzlich krankenversicherten Patientinnen und Patienten werden von den Apotheken an die Krankenkassen weitergeleitet. Dieses Inkasso für die Krankenkassen geschieht vollkommen unentgeltlich.

Planungen des Bundesgesundheitsministeriums zur zukünftigen Medikamentenversorgung:

Geplant ist, dass Apotheker jetzt eine Art Apothekenverbund betreiben dürfen. Zusätzlich zu ihrer Hauptapotheke und den Filialen sollen zwei zusätzliche Zweigapotheken möglich sein. Die dürfen auch weiter voneinander entfernt liegen. Die neuen Apotheken unterliegen nicht der bisher geltenden Mindestöffnungszeit, müssen also auch keine Notdienste anbieten. Vor allem aber muss hier nicht ständig eine Apothekerin oder ein Apotheker vor Ort sein. Nach der Reform könnten diese Apotheken von Pharmazeutisch-Technischen-Assistenten (PTA) geleitet werden. Nur acht Stunden pro Woche muss eine Apothekerin oder ein Apotheker präsent sein.

Doch: Diese neu gegründeten Apotheken können in der Fläche keine richtigen Apotheken ersetzen, denn bestimmte Leistungen können nur durch approbierte Apotheker erbracht werden, wie z.B. die Abgabe von Arzneimitteln, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen - Schmerzmedikamente für Krebspatienten und in der Palliativversorgung etwa. Das muss jederzeit möglich sein. Wenn aber nur selten eine dazu befugte Person vor Ort ist, müssen die Patienten unnötig lange warten. Die Entscheidung, ob es sich um einen Notfall handelt und ob der Patient nicht umgehend zum Arzt sollte, wird aktuell noch durch dafür ausgebildete Apothekerinnen und Apotheker getroffen, diese wichtige Funktion fällt dann weg.

Auch andere Beratungsleistungen oder die Herstellung bestimmter frischer Medikamente sind an die Präsenz einer dazu ausgebildeten Fachkraft gebunden. Das sind in den meisten Fällen eben eine Apothekerin oder ein Apotheker. Telepharmazie kann das nicht ersetzen. Die geplanten Zweigapotheken wären nur eine Art Medikamenten-Verkaufsstelle, die nicht viel kostengünstiger arbeiten würden als eine Vollapotheke. Es würde im Zuge dieser Reform zu einer Massenentlassung von Apothekerinnen und Apotheker kommen, das Fremdbesitzverbot bei Apotheken würde über kurz oder lang kippen.

Es wird befürchtet, dass der wirtschaftliche Druck auf inhabergeführte Apotheken dadurch noch erhöht wird und diese Entwicklung der Anfang für die Zerstörung des derzeitigen Apothekensystems ist. Große Kapitalgeber könnten das ausnutzen.

Die Apotheken fordern:

Die seit Jahren gestiegenen Kosten der Apotheken zu berücksichtigen und die Honorierung der Apotheken nach mehr als 20 Jahren fair und angemessen zu erhöhen, damit die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung stabilisiert wird und das Apothekensterben beendet werden kann. Apotheken gehören zur öffentlichen Grundversorgung, genauso wie Schulen, Polizei oder Feuerwehr etc.

Außerdem sollten bei der Apothekenreform Skonti in der Arzneimittelpreisverordnung zulässig sein.

Die wohnortnahe medizinische Versorgung der Menschen darf nicht verschlechtert werden.

Die Liberalen Senioren Northeim-Einbeck solidarisieren sich mit den Forderungen der Apotheker:

Wir Liberale Senioren Northeim-Einbeck stimmen dem Würzburger FDP-Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann zu, der in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk forderte: „Eine Abwertung der Apotheker darf es nicht geben. Der Heilberuf darf nicht relativiert werden. Die hochqualifizierte Arzneimittelversorgung muss durch einen Apotheker gewährleistet sein.

Sollte das Apothekensterben anhalten, sind in besonderer Weise Menschen betroffen, die aufgrund Alter oder Krankheit in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, keine Erfahrung mit der Nutzung des Internets haben und/oder im ländlichen Raum wohnen. Die Liberalen Senioren unterstützen auch deshalb die Forderungen der Apotheken.

Jutta Heynold (links) und Werner Hehn (rechts) von den Liberalen Senioren Northeim-Einbeck bedanken sich bei Andreas Hartwig für den interessanten Vortrag
Jutta Heynold (links) und Werner Hehn (rechts) von den Liberalen Senioren Northeim-Einbeck bedanken sich bei Andreas Hartwig für den interessanten Vortrag